Phobien
Unter einer Phobie versteht man eine Furcht und die damit verbundene Vermeidung eines Objektes, einer Situation oder einer Aktivität; der Person ist klar, daß ihr Verhalten in keiner Beziehung zur aktuellen Gefahr des Objektes, der Situation oder der Aktivität besteht. Phobien gehören zu den häufigsten psychischen Störungen: Rund 10 bis 30 % der Bevölkerung leidet unter Ängsten, die ihr Leben in unterschiedlicher Weise beeinträchtigen.
Phobische Störungen lassen sich in drei Haupttypen klassifizieren; Der entscheidende Gesichtspunkt besteht darin, welche Situationen den Gegenstand der Angst darstellen.
- Spezifische Phobien beinhalten eine Furcht vor einzelnen Objekten oder abgrenzbaren Situationen, z.b. vor Höhen, Dunkelheit, Eingeschlossen-Sein, vor Tieren, Krankheiten etc.
- Soziale Phobien meinen die Angst, in einer sozialen Situation von anderen Personen beobachtet und bewertet zu werden; aus Angst hierbei als dumm, ungeschickt etc. aufzufallen, vermeidet die Person solche Situationen vollständig oder teilweise (z.B. gemeinsames Essen, soziale Veranstaltungen etc.).
- Agoraphobie war ursprünglich eine Bezeichnung für eine Angst vor weiten Plätzen, Menschenansammlungen etc., meint aber allgemeiner die Angst einer Person, eine Situation nicht verlassen zu können, umzufallen, in Panik zu geraten und ohne Hilfe zu sein. Agoraphobie betrifft einen sehr weiten Bereich von Situationen, die für das Individuum eine potentielle Gefahr bilden könnten, z.B. Kaufhäuser, öffentliche Verkehrsmittel, allein zu sein etc.
Unter den Phobien gelten Agoraphobien als besonders beeinträchtigend, während Patienten mit spezifischen Phobien üblicherweise problemlos leben können. Personen mit phobischen Angsten sind zumeist auch durch eine Reihe anderer Störungen beeinträchtigt, z.B. chronische Ängste, Depressivität und als Folge zeigt sich oft problematischer Alkohol- oder Medikamentenmißbrauch. Spezifische Phobien beginnen zumeist bereits in der Kindheit, soziale Phobien in der Jugend und Agoraphobien zumeist im dritten Lebensjahrzehnt; Frauen sind überwiegend von spezifischen und Agoraphobien betroffen, die Geschlechtsrate bei sozialen Phobien ist in etwa ausgeglichen.
Ursachen
Die Entstehung phobischer Störungen ist nach wie vor Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Untersuchungen; Eine klassisch-psychologische Auffassung macht für Phobien belastende Erfahrungen und damit verbundene Lernprozesse verantwortlich (z.B. Hundebiß als Ursache für Angst und Vermeidung von Hunden). Neuere Untersuchungen bestätigen dies vor allem für spezifische und soziale Phobien; hinzu kommt sicherlich eine genetische bzw. stammesgeschichtliche Komponente, die u.a. die Auswahl phobischer Objekte und Situationen mitbestimmt. Als weitere wichtige Bedingungen müssen gedankliche Prozesse, d.h. falsche oder verzerrte Informationen angeführt werden (z.B. Informationen über die Gefährlichkeit von Hunden; Zeitungsberichte über Flugzeugabstürze . . .). Die Vermittlung über Modelle bzw. Vorbilder, d.h. die Beobachtung ängstlichen Verhaltens in spezifischen oder sozialen Situationen stellt eine weitere wichtige Ursache von Phobien dar. In der Regel wirken diese drei genannten Faktoren bei der Entstehung von Phobien zusammen.
Für soziale Phobien muß man anführen, daß ein chronischer Verlauf sehr häufig ist, sodaß geradezu von einem Persönlichkeitsmerkmal gesprochen werden kann. Dies bedeutet, daß Personen sehr zurückgezogen leben, daß sie sich als “schon immer scheu“ bezeichnen; soziale Phobien werden insbesondere durch die Notwendigkeit der Übernahme neuer Rollen und Funktionen (z.B. beruflicher Aufstieg) zu einem behandlungsbedürftigen Problem.
Als Beginn von Agoraphobien kann man häufig eine unerwartete und sehr belastende Panikattacke finden; hierbei haben Personen oft das Gefühl verrückt zu werden. Patienten vermeiden dann einen immer weiteren Bereich an Situationen, die sie mit dem möglichen Auftreten von Panik und Angst in Zusammenhang bringen. Ein zentrales Merkmal von agoraphobischen Patienten besteht offenbar weniger in Aspekten der Situation, sondern in der (Erwartungs-)Angst vor eigenen Reaktionen, z.B. umzufallen, sich zu blamieren, zu sterben, ohne Hilfe zu sein. Als wichtige Bedingungen agoraphobischer Störungen müssen auch belastende Lebensereignisse, frühere Erfahrungen von Kontrollverlust, sowie biochemische Faktoren angeführt werden. Patienten mit Agoraphobien suchen in der Folge entsprechende Situationen nur in Begleitung oder unter Medikation auf und sie sind in ihrem Lebensvollzug zumeist sehr stark beeinträchtigt.
Behandlung
Das wichtigste und auch zielführendste Prinzip bei der Behandlung von Phobien bilden verhaltenstherapeutische Ansätze: Es ist zunächst unerläßlich, daß eine (schrittweise) Konfrontation mit der phobischen Situation erfolgt. Dies bedeutet, daß sich die Person wieder mit der von ihr besonders gefürchteten Situation auseinandersetzen sollte, bis sie deren Ungefährlichkeit erlebt (bzw. sich wieder daran gewöhnt, sie bewältigt hat). Zur Bedeutung von Konfrontation bei allen Typen phobischer Störungen gibt es inzwischen viele Untersuchungen.
Während der Konfrontation sollte der Patient keinesfalls auf die üblichen Vermeidungsstrategien zurückgreifen; dies ist mit Reaktionsverhinderung gemeint und gerade wie die zweite Seite einer Medaille zur VT-Behandlung von Phobien.
Bei sozialen Phobien kommt neben dem Element der Konfrontation dazu, daß diese Personen eine Veränderung ihrer Gedanken, Bewertungen und Einstellungen erlernen sollten (z.B. “ich werde nicht immer beobachtet und bewertet“...; “auch wenn ich etwas Falsches sage, halten mich nicht alle Menschen für dumm“ . . .). Eine sehr wertvolle therapeutische Ergänzung stellt ein Training in sozialen Fertigkeiten dar: Hier lernen sozial-phobische Patienten neue soziale Strategien und sie gewinnen damit Sicherheit und Selbstvertrauen.
Bei agoraphobischen Störungen ist darüber hinaus die Bedeutung von Konfrontation mit bisher vermiedenen Situationen völlig unumstritten. Eine wichtige Unterstützung der Behandlung betrifft den Umgang des Patienten mit den Panikattacken. Hier spielt die medikamentöse Behandlung neben den psychotherapeutischen Möglichkeiten durchaus eine gewisse Rolle. Als psychologische Strategien haben sich auch die Vermittlung eines plausiblen Erklärungsmodells für den Verlauf von Angst und Panik, Strategien der gedanldichen Umstrukturierung, Atemübungen und Entspannung, die Konfrontation mit Symptomen der Panik (mit dem Ziel des Erlebens subjektiver Kontrolle) sowie das Lernen, mit Angst umzugehen (Angst-Bewältigungs-Training) als besonders wertvoll und zielführend herausgestellt.
Weiterführende Literatur
Mathews, A., Gelder, M. & Johnston, D. (1988). Platzangst – Agoraphobie. Ein Übungsprogramm für Betroffene und Angehörige. Berlin: Springer.
Was ist Verhaltenstherapie?
Verhaltenstherapie ist ein spezielles Behandlungsverfahren, das sich auf bewährte Forschungsbefunde stützt; Verhaltenstherapie bildet für Patienten eine Hilfestellung, um spezielle Veränderungen in Gang zu setzen und entsprechende Ziele zu erreichen. Solche Ziele betreffen unter anderem:
- Merkmale des Verhaltens, z.B. aktives Sozialverhalten; Reduktion von Alkohol- oder Zigarettenkonsum.
- Art der Gefühle, z.B. Hilfestellungen für eine Person, sich weniger ängstlich oder weniger depressiv zu fühlen.
- Veränderung von Denkmustern, z.B. lernen Probleme zu lösen und zuversichtlichere Gedanken zu entwickeln.
- Art des Umgangs mit körperlichen Beschwerden, z.B. Veränderung des Schmerzerlebens oder des Umgangs mit ärztlichen Verschreibungen.
- Eine Art der Bewältigung, z.B. Hilfestellungen für behinderte Personen oder des Zurechtkommens im Arbeitsbereich.
Verhaltenstherapie und kognitive Therapie beziehen sich in erster Linie auf das Hier und Jetzt, d.h. auf die gegenwärtige Situation und ihre Bedingungen (und nicht so sehr auf die Vergangenheit des Patienten). Wichtige Ansatzpunkte sind die konkreten Verhaltensmuster und Sichtweisen einer Person. Verhaltenstherapeuten arbeiten mit Einzelpersonen, mit Eltern, Kindern, Paaren, Familien und Gruppen.
Zentrale Ziele der Verhaltenstherapie sind die Hilfe bei der Veränderung hinderlicher Denk- und Verhaltensmuster sowie eine Unterstützung beim Erlernen zielführender Strategien; damit sollen Patienten generell mehr Kontrolle über ihr Leben bekommen.
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